Dies Domini – 2. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Wer auch immer schon einmal einen Liebesbrief geschrieben hat, kennt das Problem: Die Plage der ersten Worte. Wie fängt man an, um dem geliebten Menschen sein Innerstes zu offenbaren, ohne anbiedernd oder plump zu wirken. Schon die Anrede ist eine Herausforderung. „Liebe …“ oder „Hallo …“ – man will ja nicht mit der Tür ins Haus fallen und doch gleichzeitig den Weg für das Eigentliche, das man sagen will, bereiten.
Dieses Problem stellt sich freilich nicht nur bei Liebesbriefen. Die Anrede und die ersten Worte wollen auch in „normalen“ Texten wohl überlegt sein, denn sie bestimmen, wie das, was folgt, aufgenommen wird. Wer etwas mit einem Text erreichen will, wird gerade den Anfang genau planen. Es ist eben nicht egal, ob man ein Schreiben mit „Hallo …“, „Lieber …“ oder „Sehr geehrte …“ beginnt. Die ersten Worte stimmen Leser und Leserin ein. Die ersten Worte lenken sie und ihre Textrezeption. Sie bestimmen mitunter sogar, ob der Text überhaupt wahrgenommen wird.
Jedem Anfang eines Textes wohnt deshalb eine Kraft inne, die den Leser fesseln, ja vielleicht sogar verzaubern kann, oder ihn abstößt und verloren gibt. Das gilt auch für die Texte der Bibel. In der zweiten Lesung vom 2. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A begegnet ein solcher Textanfang – der Beginn der sogenannten ersten Briefes des Apostels Paulus an die Korinther:
Paulus, durch Gottes Willen berufener Apostel Christi Jesu, und der Bruder Sosthenes an die Kirche Gottes, die in Korinth ist, – an die Geheiligten in Christus Jesus, berufen als Heilige mit allen, die den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, überall anrufen, bei ihnen und bei uns. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. (1 Korinther 1,1-3)
Was auf den ersten Blick nur eine Adressierung ist, lässt bei näherer Betrachtung doch tiefe Einblicke in die kommunikative Beziehung des Apostels zu seiner Gemeinde zu. So betont Paulus, dass er als Apostel schreibt, der von Gott berufen ist und der Christus Jesus dient.
Diese Feststellung ist nicht unerheblich, war der apostolische Anspruch des Paulus doch alles andere als unumstritten. Er zählte nicht zu den zwölf Männern, die von Jesus zu irdischen Zeiten berufen wurden. Paulus leitet seinen apostolischen Anspruch vielmehr von einer besonderen Beauftragung durch den Auferstandenen selbst ab. Dass ein solcher Anspruch nicht von allen unwidersprochen bleibt, versteht sich von selbst. Gerade in Korinth muss es Skeptiker gegeben haben, die dem Gemeindegründer Paulus kritisch gegenüber standen. Die Parteiungen, von denen Paulus wenige Verse später in 1 Korinther 1,11-15 berichtet legen ebenso Zeugnis von der konfliktiven Grundstimmung dem Apostel gegenüber ab, wie der lakonische Hinweis in 2 Korinther 2,5, das eine namentlich nicht näher genannte Person (τις – sprich: tis/ein gewisser) ihn betrübt, wahrscheinlich sogar massiv beleidigt hat.
Als Mitabsender nennt Paulus den Bruder Sosthenes. Paulus schreibt nicht allein. Er ist ein Teamplayer. In seinen Briefen findet sich häufig ein Wechsel von „ich“ und „wir“. Es ist davon auszugehen, dass er sich mit Mitarbeitern, in diesem Fall dem Sosthenes, vor der Abfassung des Briefes beraten hat. Das Ergebnis sind die „wir“-Passagen in den Briefen, die durch die genuin paulinischen „ich“-Passagen ergänzt werden. Paulus weiß, wem die Ehre gebührt. Seine Mitarbeiter genießen nicht nur seine Loyalität. Auch als Apostel weiß er um die Notwendigkeit einer existentiellen Kollegialität, die sich nicht nur in Worten, sondern gerade auch im Handeln ausdrücken muss.
Der Brief ist an die Kirche, die in Korinth ist, adressiert. Kirche ist Gemeinschaft, eine Gemeinschaft, die die einzelne Versammlung übersteigt. Und doch konkretisiert sich die abstrakte Größe Kirche in der konkreten Versammlung vor Ort. Der Brief richtet sich an die Kirche, wie sie sich in Korinth konkretisiert. Die korinthische Gemeinde ist rückgebunden an die umgreifende Kirche. Sie existiert nicht für sich allein. Und doch kommt in ihr ganz das zum Ausdruck, was Kirche ist. Sie ist Kirche im Kleinen, Kirche vor Ort und gerade darin Konkretion der Kirche.
Paulus ergänzt die Adressierung. Er spricht die einzelnen Mitglieder der Gemeinde gezielt an. Er bezeichnet sie als die, die in Christus Jesus geheiligt sind. Das Heiligsein der Angesprochenen betont er noch einmal: Es sind die berufenen Heiligen. Diese Betonung ist keineswegs zufällig, denn das Adjektiv „berufen“ (griechisch κλητός/sprich: kletos) hatte er schon in seiner Selbstcharakterisierung als Apostel (durch Gottes willen berufen) verwendet.
Paulus als berufener Apostel und die Korinther als berufene Heilige stehen damit kommunikativ auf einer Stufe. Sie haben unterschiedliche Funktionen in der einen Kirche Gottes, die in der paulinischen Anrede in den Blick kommt, wenn er „alle, die den Namen Jesu Christi, unseres Herrn, überall anrufen, bei ihnen und bei uns“ mit in den Blick nimmt. Das Berufensein eint aber Apostel und Gemeinde und alle in der einen Kirche Gottes. Es gibt einen Unterschied in der Aufgabe, nicht in der Wertigkeit. Paulus wird das später im Bild vom Leib Christi tiefer ausführen (vgl. 1 Korinther 12,12-31a).
Den so Angesprochenen entsendet Paulus schließlich den Friedensgruß als Begrüßung:
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. (1 Korinther 1,3)
Es sind nur wenige Worte, die am Anfang des 1. Korintherbriefes stehen. Und doch spiegeln sie die paulinische Definition seiner Beziehung zur korinthischen Gemeinde wieder. Er wünscht eine grundlegende Anerkennung als Apostel, betont aber gleichzeitig, dass er auf Augenhöhe mit der Gemeinde kommuniziert. Unterschiedliche Aufgaben begründen eben keinen Unterschied in der Wertigkeit. Hier kommuniziert einer gerade deshalb mit apostolischer Autorität, weil er die Gemeinde als Gegenüber wertschätzt. Hier spricht nicht ein wissender Hirte zur willenlosen Herde, sondern ein Partner zu einem mündigen Gegenüber. Es ist diese wechselseitige Bedeutsamkeit der Beziehung von Apostel und Gemeinde, die Paulus gerade in den Korintherbriefen immer wieder betont.
Der Briefanfang des 1. Korintherbriefes beeinflusst dessen Lektüre. Wer so wertgeschätzt wird, wird das, was folgt, wohlwollend aufnehmen. Gute Autoren wissen um diese „rezeptionsästhetischen“ Notwendigkeiten. Eine gute Schlagezeile zu finden, einen prägnanten Krimianfang zu schreiben oder eben eine Überschrift zu formulieren, die nicht nur den Inhalt des Textes auf den Punkt bringt, sondern vor allem das Interesse der Leserinnen und Leser weckt, ist eine Kunst für sich. Ganze Heerscharen von Textern werden in der modernen Werbeindustrie und den Fabriken des Kommunikationsdesigns beschäftigt, um den Claim der Claims zu finden.
Da verwundert ein Brief, den in diesen Tagen viele in der Erzdiözese Köln erhalten haben. Er enthält die Einladung zur Dankfeier anlässlich des 25. Jahrestag der Einführung von Joachim Kardinal Meisner als Erzbischof von Köln. Der Einladung ist eine Karte beigefügt, mit der für die im Dezember 2013 ins Leben gerufene „Kardinal Meisner Stiftung“ geworben wird. Die Fokus der Stiftung liegt
„in der ideellen und finanziellen Unterstützung von Maßnahmen und Stärkung der soliden Glaubensverkündigung und der missionarischen Ausstrahlung der katholischen Kirche im In- und Ausland.“ (Quelle: Stiftungszentrum Erzbistum Köln)
Die Karte ist überschrieben mit den Worten:
(Ausschnitt aus der Werbekarte für die Kardinal Meisner Stiftung)
Ein Wort wie ein Faustschlag. Was bei Paulus noch Gnade und Frieden waren, ist hier Härte. Die am Beginn des 1. Korintherbriefes offen-versöhnend gereichten Hände, sind hier kampfbereit zur Faust geballt, hoch erhoben, um den wahren Glauben gegen seine Feinde zu verteidigen. Wer das unter Glaubensstärke versteht, liebt die Feinde nicht nur nicht, er wird aus ihnen auch keine Freunde machen. Schon am Beginn der Werbekarte ist klar, worum es geht: Kampf und eben nicht Verkündigung. Hier soll ein Heer von harten Kämpfern für den wahren Glauben rekrutiert werden; bei Paulus waren es noch die berufenen Heiligen.
Vielleicht waren die Werbestrategen, die von der Stiftung beauftragt wurden, nicht darüber im Bilde, dass die von Gott berufenen Apostel und Heiligen Gnade und Friede in die Welt bringen sollen. Vielleicht waren sie von der Idee des Paradoxons „Güte-Härte“ so selbstbesoffen, dass sie seine Wirkung nicht mehr wahrnehmen konnten. Schließlich müssen die Auftraggeber die gefährliche Botschaft dieser Schlagzeile, die wie kaum eine sonst diesen Namen auch verdient, wohl gewollt haben, haben sie sie doch zur Veröffentlichung freigegeben. Wie auch immer – man möchte ihnen die Worte ans Herz legen, die in der ersten Lesung vom 2. Sonntag im Lesejahr A aus dem Propheten Jesaja zu hören sind:
Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker, damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht. (Jesaja 49,6)
Ob die „Güte der Härte“ noch leuchten wird, wenn die so Niedergeschlagenen am Boden liegen? Gnade und Frieden werden hingegen leuchten – über die Gerechten und Ungerechten, die Glaubenden und die Unglaubenden, ja sogar über denen, die glauben, den Glauben mit Härte verteidigen zu müssen. Gnade und Frieden werden hoffentlich auch die wieder gewinnen, deren Denken und Herzen verhärtet wurden. Erst wer die Härte ablegt und ihre Hülle entfernt, wird begreifen, was Paulus schreibt:
Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit. Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werde so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn. (2 Korinther 3,17f)
„Wir alle“ meint alle Berufenen – die Bischöfe und Priester, die Diakone und Ordensleute, aber auch die Heiligen, die in Köln, Wuppertal, Frankfurt, München, Rom, Rio de Janeiro, Kinshasa, Tokio, Moskau und überall den Namen Jesu Christi, unseres Herrn anrufen, bei ihnen und bei uns. Schlagt nicht, sondern segnet – und macht die harten Herzen weich!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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